Hamburg im Juni 2024 – montags gibt es immer „Liebe in Tüten“ im „Schrödingers“ Kulturzentrum* in Eimsbüttel. Dort können sich Menschen Lebensmittel abholen, die von Supermärkten oder Herstellern gespendet wurden.
Im Zuge der Nachhaltigkeitsstrategie der Société Générale Insurance haben die Mitarbeiter (w,m,d) die Chance, einen Ehrenamtstag pro Jahr wahrzunehmen. Das bedeutet: An diesem Tag machen wir nicht unseren, sondern einen ganz anderen Job, der in irgendeiner Form gemeinnützig ist. Was das ist, kann jeder selbst wählen: Umweltschutz, Seniorenhilfe, Tafel, Kleiderausgabe, Tierschutz u.v.m.
Meine Kollegin Heike schlug „Liebe in Tüten“ vor und wir wurden dort herzlich eingeladen, im Schrödingers mitzuhelfen.
Zweimal warten kennen alle
Die Schlange auf dem Bürgersteig war schon sichtbar, als wir gut 1 Stunde vor Beginn ankamen. Andere Ehrenamtliche waren auch schon da, zumeist junge Ukrainerinnen, die hier regelmäßig helfen.
Die Ausgabe der Lebensmittel ist aufwändig organisiert: Für die Lebensmittel ist eine Minigebühr von 2,-€ nötig und eine Registrierung. Diese Tages-Marke für 2,-€ bekommen alle, soweit der Vorrat reicht, die anderen haben Grundsicherungs- oder Renten-Nachweise. Rund 200 Marken werden ab 10 Uhr ausgegeben. Dazu wurde im Eingangsbereich des Kulturhauses vor ca. 3 Jahren ein kleines Kassenhäuschen aus Holz gebaut. Dort gibt es beim Einlass weder Gedrängel noch Geschubse – alle scheinen den Ablauf zu kennen. Dank der Registrierung geht keiner leer aus, wenn ab 12 Uhr die Waren ausgegeben werden. Mischa, ein junger Lehrer für Deutsch und Russisch, der in Hamburg aufgewachsen ist, ist verantwortlich für der Vergabe der Marken und den Einlass. Er kennt auch die, die schon vorher auf einer Bank im Garten warten dürfen und erklärt geduldig, wie es hier abläuft. Einige Ältere können unmöglich 2x anstehen. Es ist schon verwunderlich, dass sie es bis dorthin geschafft haben.
Wir helfen bei der Markenvergabe: Die Augen der Menschen sind erwartungsvoll und ohne Ausnahme gibt es ein freundliches „Danke“ oder „Spassiva“. Ich lerne, dass es „danke“ heißt und dass gut 70% der Gäste aus der Ukraine kommen.
Die eigentliche Lebensmittel-Ausgabe beginnt deswegen später, weil – und das ist auch für die Organisatoren immer wieder eine Herausforderung – die LKWs mit der Ware erst nach und nach eintreffen. Und klar: Keiner weiß, was es an diesem Tag geben wird und – wieviel pro Produkt: An diesem Montag gab es palettenweise Ketchup, vegetarische Wurst, Pudding im Glas, Schafskäse, Kekse, Trinkjoghurt, Mandelmilch – vieles davon aus Überproduktionen. Nichts, was ausgegeben wird, darf vom Datum abgelaufen sein. Es kommen auch große Mengen an Brot, Brötchen und Kuchen an, die von den Bäckereien am 2. Tag nach Herstellung abgegeben werden. Auch Frisches wurde geliefert: kistenweise Äpfel, Kartoffeln, Zwiebeln … es duftete nach Wochenmarkt und alles sah knackig und frisch aus - wie im Laden.
Die Backwaren werden – jeder trägt dabei Einweghandschuhe - in familienfähige Tüten abgepackt, denn ein klebriges Franzbrötchen kann keiner einstecken. Die Tische sind zwar überdacht, aber wenn es wirklich in Strömen regnet, dann werden auch alle Helfer nass, die zwischen den Lkw und der Ausgabereihe hin- und herlaufen.
Beim Brötchenpacken sind alle dabei: Dazu läuft ukrainische Popmusik und es wird gelacht und in Windeseile eingetütet. Wenn alle Krümel zusammengefegt sind, werden die Kisten mit der schneller verderblichen Ware ausgepackt. Joghurt z.B. oder Frischkäse. Lebensmittel kommen im Karton, gern als 5-er Pack oder 12-er Einheit. Das alles muss schnell geöffnet werden – um kurz vor 12 ist die Schlange auf dem Bürgersteig schon gute 150m lang. Und ein weiterer LKW kommt an. Kräftige Helfer – meist ältere Männer aus der Ukraine - holen die Ware vom LKW. Für die Mädchen wäre das viel zu schwer.
Und dann geht es los: Die ganz Alten sind die ersten mit ihren Gehwagen, im Rollstuhl oder auf Krücken. Es schiebt sich sehr mühsam entlang der Ausgabestrecke. An den Wagen hängen die Taschen, die befüllt werden. Ganz zu Beginn bekommt jeder (m,w,d) eine Tüte mit haltbaren Dingen: Konserven, Nudeln, Reis, Püree z.B. Diese Taschen sind bereits am Freitag vorher vom Schrödingers-Team und Helfern gepackt worden. Die Anzahl der Tüten bestimmt auch, wie viele Personen an diesem Tag versorgt werden können, damit keiner (w,m,d) leer ausgeht. Es gab genug für 500 Menschen. 397 Personen wurden gezählt – und die frischen Lebensmittel konnten komplett verteilt werden. Auch die jungen Helferinnen haben sich jeweils eine Tasche mit Radieschen, Milch, Äpfeln und Brot gepackt – für zuhause.
Um kurz vor 15 Uhr ist alles verteilt und die Freiwilligen sind erschöpft. Dann wird aufgeräumt: jeder Karton fürs Recycling flach gezupft oder geschnitten, alle Plastikverpackungen gesondert und die Klappkisten gestapelt – sie kommen zurück in die Märkte. Ohne Worte packt jeder da an, wo etwas liegt, weiß, wo es hingehört und hilft uns Neuen, das ebenso zu tun.
Nach dem Händewaschen und einem Schluck aus der Wasserflasche verabschieden wir uns von den Tageskolleginnen und -kollegen und versprechen, wiederzukommen.
Unser Fazit: Ein großartiger Arbeitstag mit einem herzlichen Onboarding, mit Freundlichkeit und dem Gefühl, dazuzugehören ohne Vorurteile.
*das „Schrödingers“ ist u.a. ein Verein, der kulturelle und gemeinnützig aktiv ist – aber auch eine Eventlocation und Anlaufpunkt von Di bis Do für viele Ukrainer, die sich hier treffen und Deutsch lernen können oder bei Formularen oder Behördenfragen Hilfe bekommen. Die Aktion „Liebe in Tüten“ ist in Kooperation mit der Tafel entstanden während Corona. Aus dieser Zeit ist der Lebensmittel-Tag geblieben, weil die Nachfrage wächst.
https://schroedingers.hamburg/verein/